In der heutigen "Leistungsgesellschaft" stehen viel mehr Menschen unter chronischem Stress, als es uns bewusst ist. Warum dies so ist, erfährst du in diesem Blog und du erfährst auch, ob du vielleicht selbst betroffen sein könntest.
Es ist mir ein besonderes Herzensanliegen, dich für das Thema "chronischer Stress" zu sensibilisieren und dir - falls es dich betrifft - wertvolle Informationen und Unterstützung zu bieten. Denn ich kenne es selbst aus meiner Vergangenheit, was ein Leben in chronischem Stress bedeutet und welch hohen Preis es haben kann. Heute habe ich mich als Körperpsychotherapeutin und Heilpraktikerin auf Psychotherapie darauf spezialisiert, Menschen aus chronischen Stress zurück in ihre Lebendigkeit, innere Ruhe und Selbstbestimmtheit zu begleiten.
Das Schwierige an chronischem Stress ist, dass wir lange Zeit gar nicht richtig wahrnehmen können, dass wir unter ihm leiden. Durch die sogenannte "Stress Blindheit" kämpfen wir uns auf Hochtouren durch den Tag und erkennen die Signale unseres Körpers der Überforderung gar nicht oder sehen sie als normal an ("Das gehört so", "Wer rastet, der rostet", "Andere schaffen das doch auch" etc.). Genau in dieser Unbewusstheit liegt die Gefahr für Körper und Seele.
Was ist akuter Stress
Zunächst ist Stress per se nichts gefährliches. Vielmehr ist es die Fähigkeit unseres Körpers, den Herausforderungen und Belastungen des Alltags zu begegnen und unser Leben aktiv zu gestalten. Solch akuter Stress macht uns fähig, uns akuten Belastungssituationen zu stellen und Träume und Ziele zu verfolgen. Hierfür zuständig ist unser sympathisches Nervensystem, dass unseren Körper auf allen Ebenen mit Energie versorgt, z.B. über die Aktivierung von Atmung, Muskeln, Herzschlag und Blutfluss.
Wenn der akute Stress abgeklungen ist, setzt idealerweise der Parasympathikus durch den Vagus Nerv ein, der die Erregung drosselt und wir verarbeiten und integrieren den akuten Stress durch Momente der Regeneration und Ruhe. Das gesunde Nervensystem schwingt daher in einer gleichmässigen Amplitude von Anspannung zu Entspannung.
Was ist chronischer Stress
Genau diese Schwingung des Nervensystems und die Integration der entstandene Anspannung durch Entspannung und Regeneration, fehlt bei chronischem Stress langfristig. Hierdurch setzt ein Teufelskreislauf ein, der sich nicht einfach lösen lässt und Geduld bedarf.
Das Stresstoleranzfenster
Durch den anhaltenden Stress wird dieser mit der Zeit immer intensiver, er kumuliert sich über Wochen, Monate und Jahre und wir kippen irgendwann langfristig immer leichter aus unserem sogenannten Stresstoleranzfenster (Window of Tolerance).
Dies ist das Fenster, indem wir Anspannung (Sympathikus) oder Immobilität (Parasympathikus, dorsal) noch immer reguliert, das heisst in der körperlichen Homeostase, also im Gleichgewicht erleben und mit uns verbunden sind (Parasympathikus, ventral, d.h. der Vagus Nerv ist aktiv).
Ausserhalb des Stresstoleranzfensters spüren wir kaum noch die Signale des Körpers, da es in einem Zustands der Gefahr evolutionär nicht sinnvoll ist, zu spüren ob wir Hunger haben, erschöpft sind oder auf Toilette müssen.
Der Alltag mit chronischem Stress
Ohne den Draht zu unserem Körper, befinden wir uns jedoch quasi "im Freiflug" und können nicht mehr auf unsere Bedürfnisse adäquat eingehen, dies wiederum verstärkt weiter den Stress. Wir befinden uns physiologisch in einem chronisch dyreguliertem Zustand von Kampf, Flucht oder Starre.
Ein rettender Sprint wird zum nicht endenden Dauerlauf
Diese Überlebensreaktionen sind eigentlich nur für kurze Momente der realen Bedrohung gedacht. Hier wird jedoch ein kurzer rettender Sprint zu einem nicht endenden Dauerlauf. Wie im Autopilot steuern wir fremdbestimmt und in körperlicher Hochspannung durch den Tag und von einem Todo zum nächsten ohne den Aussteig finden zu können.
Die Sucht nach Dopamin-Kicks
Dabei halten uns oft Dopamin-Kicks, die wir bei jeder erledigten Aufgabe und jedem Erfolgserlebnis haben "bei Laune" und machen durchaus Stress-abhängig. Pausen werden durch die hohe Erregung für das Nervensystem nicht mehr gut aushaltbar und schnell springt man dann für die nächste Aktivität auf, die vor einem Gefühl der Überforderung und Erschöpfung "rettet". Zusätzlich verhindern negative Glaubenssätze wie "Ich bin nur wertvoll, wenn ich leiste" eine regenerative Pause zuzulassen.
Das Verlieren sozialer Interaktion und wohltuender Kraftquellen
Gleichzeitig regieren wir auf Menschen und Geschehnisse schneller reizbar, weil wir uns in einem Zustand befinden, der verbindende soziale Interaktion nicht primär vorsieht, sondern eher das Abwehren von Gefahren, sodass soziale Beziehungen unter chronischem Stress leiden.
Typisch für chronischen Stress ist, dass wir noch einem Arbeitsalltag, bei dem wir übererregt sind und uns "durchgekämpft" haben, abends auf dem Sofa zusammensinken und keinerlei Energie mehr haben, um kraftspendende Dinge zu tun (z.B. Hobbies, Freunde anrufen, Buch lesen). Hierdurch fehlen wichtige Kraftquellen, die uns wieder Energie zuführen könnten.
Dies ist wie ein Kurzschluss: Das übererregte Nervensystem kollabiert abends nach einem Tag der kompletten Übererregung und befindet sich im Zustand kompletter Untererregung oder auch Immobilität (fachlich auch Dorsalzustand) bei dem Antrieb und Freude fehlen.
Gleichzeitig ist es häufig so, dass Menschen in diesem dysreguliertem Zustand versuchen, sich wieder über Alkohol, Scrolling, Essen, Serien-Bindging zu regulieren. Dies lässt zwar kurzfristig Erleichterung zu, führt jedoch zu keinerlei echter Entspannung, ist in der Regel schädlich und verstärkt den Kreislauf.
Auswirkungen von chronischen Stress
Chronischer Stress ist eine immense Belastung für den Körper, Geist und Seele und somit eine echte Gefahr für unsere Gesundheit. Er führt mit der Zeit zu immer mehr Konsquenzen, die sich wie in einer Spirale verstärken.
Lange Zeit - gerade wenn wir noch relativ jung sind - kann der Organismus chronischen Stress oft gut kompensieren. Wir fühlen uns sehr belastbar und leistungsfähig und merken noch nicht oder nur sehr vage, dass etwas nicht stimmt.
Irgendwann jedoch sind die Energiereserven und das Cortisol, unser Stress- und Belastungshormon, das der Körper viel zu viel produziert, immer mehr erschöpft. Es kommt zu einer Nebennierenschwäche, bei der zuwenig Corisol produziert wird und wir immer weniger leistungsfähig durch den Tag gehen können. Zugleich gibt es immer mehr Entzündungsreaktionen in unserem gesamten Körper, da langfristiger Stress unser Immunsystem unterdrückt. Gleichzeitig führen die permanent hohe Anspannung und Grundaktivierung (hypererausal) dazu, dass der gesamte Körper zuviel Druck und zu wenig Regeneration erfährt, was ich sich auf alle Systeme auswirken kann.
Anzeichen von chronischem Stress:
Wenn mehrere der folgenden Anzeichen und Stresssymptome über längere Zeit da sind und zunehmen, sind das deutliche Warnanzeichen, dass chronischer Stress vorliegt und es wichtig ist, etwas zu verändern.
Körperliche Ebene (bitte immer mit Arzt abklären):
- Schlafstörungen
- Herzklopfen
- Zittern, Schwindel
- Verspannungen (oft Nacken & Schulter)
- Hörprobleme (Ohrensausen Pfeifen, Tinnitus, Hörsturz)
- körperliche, anhaltende Erschöpfung
- Kopfschmerz oder Rückenschmerz
- Magen Darm Beschwerden
- infektiöse Krankheiten
- erhöhter Blutdruck
- Zähneknirschen
- Autoimmunerkrankungen, die plötzlich auftreten
- Magenentzündungen
Psychische Ebene:
- Konzentrationsschwierigkeiten
- extreme innere Unruhe
- Freudlosigkeit am Alltag
- Gefühl der Fremdsteuerung und des Getriebenseins
- Ängste
- zunehmende Vergesslichkeit
- ständige Müdigkeit
- zunehmende Erschöpfung
- Gereiztheit
- Gefühl der Sinnlosigkeit des eigenen Alltags
- und vieles mehr
Die Gefahr von chronischem Stress
Mit diesen Anzeichen sagt dein Körper "Nein " und er will sich deutlich Gehör verschaffen, sodass du erkennst, dass er an Grenzen stößt und bald nicht mehr kann.
So schmerzhaft dieses Eingeständnis auch sein kann - es ist auch eine große Chancen. Du kannst inne halten, dein Leben neu betrachten, dir Unterstützung holen und es behutsam neu auszurichten. Denn das Leben ist zu kostbar, um es nur zu ertragen.
Langfristig steht die Gefahr, dass chronischer Stress - und das ist wichtig zu sagen - zu psychischen Erkrankungen wie Burnout, Angststörungen, Süchten und Depressionen und körperlichen Erkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Autoimmunerkrankungen führt und auch Krebs begünstigen kann (vgl. Dr. Gabor Maté: "Wenn der Körper Nein sagt").
Chronischen Stress möglichst früh schon zu erkennen und inne zu halten, kann also vor vielem bewahren und im Extremfall auch Leben retten. Daher ist die Aufklärung über chronischen Stress ein so wichtiges Anliegen.
Woher kommt chronischer Stress
Doch warum sind so viele Menschen chronisch gestresst?
Gesellschaftliche Perspektive
Zunächst wird in unserer kapitalistisch geprägten Individualgesellschaft der Wert eines Menschen stark an seine Leistung und Produktivität geknüpft. Dies wird uns schon früh durch das Vorleben und Erwartungen in der Familie und den Druck in der Schule sowie durch das gesamtgesellschaftliches Klima vermittelt.
Sind Leistung und Erfolg eng mit unserem Wert als Mensch verbunden, dann sind Pausen, Selbstfürsorge und gar "Faulenzen", Aktivitäten für uns unbewusst negativ konnotiert und wirken bedrohlich.
Wie oben aufgeführt, sind Pausen und Regeneration jedoch essentiell für ein reguliertes, gesundes Nervensystem und ihre Abwesenheit die Grundlage für chronischen Stress. Daher ist die Gefahr von chronischen Stress durchaus ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Entwicklungspsychologische Perspektive
Gleichzeitig hat chronischer Stress oft auch einen entwicklungspsychologischen Hintergrund. Kommen wir auf die Welt, so sind unser Gehirn, das autonomes Nervensystem und unsere Stressregulationssysteme noch sehr unreif.
Für eine gesunde Weiterentwicklung - vor allem bis zum 3. Lebensjahr aber auch danach - braucht das Baby und Kind eine fürsorgliche Umgebung, in denen Eltern verlässlich auf seine Bedürfnisse eingehen und - nicht immer, aber oft genug - ihm emphatisch und zugewandt begegnen.
Leider können wir uns an diese prägendste Zeit für die Entwicklung unserer Stressregulationsfähigkeit meist nicht erinnern (bis zu einem Alter von 3. Jahren), obwohl sie uns unser gesamtes Leben stark prägt.
Störungen dieser Entwicklung in der Zeit und auch in der späteren Kindheit sind schon z.B.:
- oft innerlich gestresste und/oder emotional abwesende Eltern
- eine komplizierte Geburt
- Füttern nach der Uhr in der Babyzeit
- keine Einschlafbegleitung, wenn das Kind sie noch braucht
- wenig Körperkontakt
- wenig gemeinsames Spiel und gemeinsame Freude und Lachen
- wenig Trost oder sogar Bestrafung bei starken Emotionen wie Trauer/Wut
- wenig Aufmerksamkeit
- eine Bestraf-Kultur
- Aufenthalt allein im Krankenhaus z.B. auf der Säuglingsstation
- Krankheit eines Elternteils oder Geschwisterkindes
- Schicksalsschläge in der Zeit
- Scheidung der Eltern und ähnliches.
Ereignisse dieser Art, signalisieren dem unreifen System eines Babys und Kindes, dass es auf der Welt nicht sicher (genug) ist. Unsicherheit entsteht zum Beispiel bereits, wenn das Baby häufig allein in der Wiege liegt und dem für ihn unerträglichen Gefühl des Hungers oder der Einsamkeit ausgesetzt ist. Es beginnt zu weinen, um auf sich aufmerksam zu machen. Wenn dann immer wieder niemand kommt, ist dies für das Baby gleichzusetzen mit einer existentiellen Not, da ein Baby evolutionär alleine in höchster Gefahr ist (>Säbelzahntiger).
Das Wissen um Entwicklungstraumata
Wenn ein Baby oder Kleinkind solche Situationen immer wieder erlebt, spricht man von einem Entwicklungstraumata. Hierdurch konnten sich seine Stressregulationssysteme nicht optimal entwickeln. Das Kind verinnerlicht, dass die Welt kein sicherer Ort ist. Die Neurozeption, das unbewusste Scannen unseres Nervensystems der Umwelt auf Gefahr, wird überreaktiv (hypervigilant). Zugleich entwickelt unser Nervensystem ein eher kleines Stresstoleranzfenster und ist somit schnell in dysregulierten Zustände von Kampf, Flucht und Immobiliät. Teilweise können diese Zustände schon seit der Kindheit chronifiziert sein.
Zusätzlich können wir zu chronischem Stress neigen, wenn wir in der Kindheit oft erfahren haben, dass Zuneigung und Akzeptanz immer an eine Anstrengung und Anpassung unsererseits geknüpft ist, um den Eltern zu genügen (Pleasing, Fawn Response). Wenn wir also nicht um unser Selbst willen genügen. Dies führt zu einer ungesunden Leistungsbereitschaft und Aufgabe unserer Selbstermächtigung und oft auch unseres authentischen Selbst.
Zusammenfasst: Erleben wir nicht ausreichende emphatische Zuwendung und Akzeptanz, das Spiegeln von Emotionen, angemessene Beruhigung und Anregung (Spiel, Freude) - man spricht auch von Co-Regulation - in der Kindheit, können sich unsere Stressregulationssysteme nicht optimal entwickeln und es fehlt eine solide Basis zur Stressbewältigung für das weitere Leben (hier gibt es weitere Informationen zu Nervensystem und Entwicklungstraumata).
Wurde uns also diese wichtige Basis nicht mitgegeben, sind wir in unserem Leben viel mehr gefährdet, chronischen Stress zu entwickeln. Denn wir haben physiologisch die Fähigkeit der Selbstregulation von Stress durch die fehlende Co-Regulation der Eltern in der Kindheit nicht ausreichend ausgebildet.
Als Erwachsene erleben wir dann, dass wir:
- unsere Emotionen nicht verstehen oder von ihnen überwältigt werden
- unsere Bedürfnisse nicht spüren und oft über eigene Grenzen übergehen
- uns gefühlt durch das Leben "kämpfen"
- schnell überfordert sind von Reizen und Dingen
- hochsensibel oder stark spirituell oder extrem sachlich & verkopft sind
- nicht gut selbstfürsorglich mit uns umgehen können
- unseren Wert durch Leistung definieren
- uns oft einsam und anders zu fühlen
- uns oft subtil bedroht fühlen
Chronischer Stress hat also eine enge Verknüpfung zu Entwicklungstraumata aus der frühen Kindheit, die vielen Menschen leider nicht bewusst sind. Somit ist das eigene Verhalten für viele Menschen ein Rätsel: Warum bin ich so schnell überfordert? Warum gehe ich so über Grenzen? Warum kann ich nicht entspannen? Warum fühle ich mich wie oft im "falschen Film"?
In diesen Fragen des Andersseins stecken sehr viel Scham und Selbstablehnung, die das Wissen über chronischen Stress und Entwicklungstraumata lindern und durch Mitgefühl ersetzte kann. Natürlich können auch einschneidende spätere Erlebnisse und Umstände zu chronischem Stress führen. Menschen mit Entwicklungstraumata sind hier jedoch auch hier viel vurnerabler.
Was kann ich bei chronischen Stress tun?
Die gute Nachricht ist, dass unser Gehirn und Nervensystem lebenslang lernfähig sind und wir Selbstregulation - also die Fähigkeit Dysregulation und Stress zu bewältigen - unser ganzes Leben nachlernen können. Dies nennt man Neurozeption.
Der Weg aus chronischen Stress bedarf jedoch Geduld, Zeit und Mut sowie festen Willen zu Veränderung.
Denn unsere Automatismen und Überlebensmuster aus der Kindheit sind größtenteils unbewusst und steuern doch unser Verhalten jeden Tag zu großen Teilen wie im "Autopilot". Es ist, als wollten wir von einer tagtäglich befahrenen Autobahn mit Hochgeschwindigkeit auf einen kleinen Feldweg abbiegen, der noch nie beschritten wurde und geduldig ausgebaut werden will.
Es ist jedoch ein Weg, der sich allemal lohnt, da er der einzige Weg ist, um aus chronischen Stress zu mehr Gesundheit, Verbindung mit sich und anderen, Heilung und Lebendigkeit zu gelangen.
Wege aus chronischem Stress
Folgende Schritte können helfen, Stress zu bewältigen und aus chronischem Stress zu kommen. Sie müssen nicht in der exakten Reihenfolge ablaufen und überlappen sich vielmehr. Oft bedürfen sie therapeutischer Unterstützung.
1. Erschaffen von Bewusstheit & Verantwortungsübernahme
Das Grundwissen und Bewusstsein über chronischen Stress, über das autonome Nervensystem und Entwicklungstraumata dienen als Fundament und Basis für alle weiteren Schritte. Ohne Erkenntnis können wir nichts verstehen und daher auch nichts verändern. Ohne Erkenntnis, können wir nicht beginnen, mitfühlend Verantwortung dafür zu übernehmen, wie es uns heute geht und was wir nicht mehr möchten.
2. Aktivierung des inneren Beobachters
Der zweite Schritt bei chronischem Stress ist, im Alltag zu erkennen, wann und wovon wir gestresst oder dysreguliert sind, wie er sich im Körper anfühlt und wie wir durch den Tag gehen.
Dies Bestandsaufnahme gelingt, indem wir unseren inneren, achtsamen Beobachter aktivieren, der auf Basis unseres Wissens über chronischen Stress und Entwicklungstraumata den Alltag und unsere körperlichen Reaktionen neugierig erforscht. Denn viele Dinge, die uns heute unterbewusst stressen und triggern, sind ein Nachhall der Geschehnisse unserer Vergangenheit und keine akuten Bedrohungen.
Wie aus einer Vogelperspektive beobachten wir ab dann, welche Stressreaktionen sich zeigen und holen so das Unbewusste in das Bewusstsein. Bei diesem Schritt hilft oft eine kompetente therapeutische Begleitung, da das Ausbrechen aus der "Autobahn" und das Aktivieren des Beobachters schwer fallen kann.
3. Kontakt zum Körper stärken / Selbstregulation üben
Der dritte Schritt ist, das wir den Kontakt zum Körper durch Körperachtsamkeit wieder stärken, sodass wir Bedürfnisse und Empfindungen wieder besser wahr nehmen und darauf reagieren können.
Hierfür ist z.B. das Erlernen individuell passender Übungen zur Selbstregulation wichtig, z.B. Orientierung, Atmung, Erdung, Bewegung und Self Havening. Was hier zu dir passt und bei dir hilft, ist sehr individuell.
Mit diesen Techniken können wir im Alltag lernen, Stück für Stück uns in Stresssituationen für einen Moment "raus zu nehmen" und unser dysreguliertes Nervensystem in Richtung Verbundenheit und Regulation zu beeinflussen und generell mehr Verbindung zu unserem Körper und dem Hier und Jetzt zu schaffen.
So können wir immer bewusster entscheiden, wie wir handeln und unser Leben gestalten wollen. Wir erlangen immer mehr Selbstermächtigung zurück und beginnen stärker zu agieren, statt unterbewusst zu reagieren.
4. Erkennen und Ausbau der Ressourcen und Kraftquellen
Bei chronischem Stress ist in einem weiteren vierten Schritt wichtig, sich der eigenen Kraftquellen aus Kindheit und Gegenwart bewusst zu werden und sie zielgerichtet wieder mehr in den Alltag zu integrieren. Dies können Hobbys, Orte, Dinge, Aktivitäten und Beziehungen in unserem Leben sein. Man spricht hier auch von Ressourcen, die wie ein hochwirksames "Antidot" gegen Stress dienen, wenn sie regelmäßig Raum bekommen. Unsere Ressourcen sind zudem hochgradig idenitätsstiftend und bewirken, dass eine Fixierung unseres Wertes auf Leistung und Produktivität sich lösen kann.
5. Erleben von Co-Regulation und Nähe
Im gesamten Prozess aus chronischen Stress ist es wichtig, sichere Räume zu finden, in denen wir ein verlässliches, emotional zugewandtes und vertrauensvolles Gegenüber haben, der unser Nervensystem co-reguliert. Dies kann ein Partner/in, Freund/in oder eine andere nahe Person sein.
Häufig ist dies zunächst ein spezialisierter Therapeut/in, der hier den wichtigen Anfang macht. Er ist zugewandt und wertschätzend da und bietet so eine sichere Bindung an, die häufig in der Kindheit fehlte.
Dies aktiviert und stärkt das System für Sicherheit und Verbundenheit. Erst wenn das autonome Nervensystem die Umgebung als sicher einstuft, ist es überhaupt möglich, chronischen Stress los zu lassen.
6. Erkennen und Wandeln von Überlebensmustern, Glaubenssätzen und Anteilen
Anschließend ist es wichtig, zu untersuchen, welche Überlebensstrategien (Kampf, Flucht, Fawn Response, Immobilisierung), Glaubenssätze und Persönlichkeitsanteile uns auf Basis der Kindheitserlebnisse im Alltag unbewusst steuern und "stressen". Es gilt zu würdigen, was ihr ursprünglicher Nutzen war, um sie behutsam ablösen zu können.
7. Erforschung und Anerkennung der eigenen Geschichte, die zu Dysregulation geführt hat
Im Prozess der Herauslösung aus chronischen Stress kommen oft Erlebnisse und Erkenntnisse zu unserer Herkunftsgeschichte hoch und auch die dazu gehörige Gefühle der Wut, Angst und Trauer.
Diese sollten kleinschrittig und traumasensibel beachtet und durchfühlt werden. Denn das Verstehen und Lösen von lange gespeicherten Energien und Emotionen im Körper kann herausfordernd und intensiv sein.
Daher ist es wichtig langsam vorzugehen, d.h. in dem Tempo, in dem man die Gefühle und Erkenntnisse reguliert - also im Rahmen des Stressregulationsfensters - durchleben kann.
Dies führt dazu, dass sie das Hier und Jetzt Stück für Stück nicht mehr so stark unbewusst bestimmen. Eine therapeutische Begleitung ist für diesen Prozess oft essenziell.
8. Neuausrichtung & Träume
Schlussendlich ist es wichtig, eine neue inneren Haltung, neue Werte, Anteile & Glaubenssätzen zu entwickeln, die die stressbasierten Überlebensmuster und Glaubenssätze immer mehr ablösen und nach denen wir fortan unser Leben aktiv und kraftvoll gestalten können. Hierfür erforschen wir unsere Impulsen, Träumen, Leidenschaften und Visionen.
Ausblick
Der Weg aus chronischem Stress ist kein Quick Fix. Es ist eine längere Reise, die dazu einlädt, das Leben noch einmal ganz neu zu betrachten und zu erfahren. Eine wichtige Reise.
Denn ein Mensch, der sich aus chronischem Stress löst, erfährt mehr Regulation, Verbindung, Lebendigkeit, Reflexion und Gesundheit. Dies sind wichtige Eckpfeiler für ein erfüllendes Leben, aber auch für eine lebendige und lebenswerte Gesellschaft abseits von Leistungsdruck und Einzelgängertum.
Als körperorientierte Therapeutin ist es mir ein Anliegen, dich über chronischen Stress umfassend zu informieren und dich auf deinem Weg aus chronischem Stress vertrauensvoll und zugewandt zu begleiten.
Melde dich gerne unter: www.sonjaelmas.de.
Quelle:
Viele der Inhalte dieses Blogartikels habe ich aus der Fortbildung „SEI - Somatische Emotionale Integration“ zu Traumatherapie und Polyvagaltheorie der Traumatexpertin und Therapeutin Dami Charf verinnerlicht. Mehr unter: www.traumaheilung.de.
Weitere Literaturempfehlungen / Auswahl:
- "Auch alte Wunden können heilen: Wie Verletztungen aus der Kindheit unser Leben bestimmen und wie wir uns davon lösen können." / Dami Charf
- "Wenn der Körper Nein sagt. Wie verborgener Stress uns krank macht und was wir dagegen tun können." / Dr. Gabor Matè
- "Die neue Elternschule. Kinder richtig aus entwicklungspsychologischer Sicht richtig verstehen und liebevoll erziehen" / Margot Sunderland
- "Entwicklungstraumata heilen. Alte Überlebensstategien lösen. Selbstregulation und Beziehungsfähigkeit stärken." / Laurence Heller und Aline Lapierre